Hat der Soul seine Seele verkauft?

Wandlung der Zeit

Von Jakob Gengenbach

Im Kölner Stadt Anzeiger erschien am 13. Januar 1968 ein Zeitungsartikel mit der Überschrift „Sie verkaufen ihre Seele“ von Gordon Mannsfeld. Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Genre Soul, der zu dieser Zeit von Amerika über England und Frankreich nach Deutschland schwappte. ->Link zum Zeitungsartikel

„Religiös, aber nicht Religion, Spiritual und Gospel, aber nicht geistlich, keineswegs Kanzelmusik – aber dem guten alten Blues auf die Finger geschaut“, so wird der Jazzexperte Jens-Joachim Jensen in dem Artikel zum Thema Soul zitiert.
Ist diese Erklärung dieses Genres auch heute noch zutreffend bzw. war sie jemals zutreffend? Zunächst zweifelt man, ob diese Aussage ihre Richtigkeit hat, aber nach einem wiederholten lesen kann man eigentlich zustimmen. „Religiös, aber nicht Religion“. Soul war in seiner Geschichte und ist es immer noch, eine Musik, der sich die Menschen voll hingeben. Wie oft sieht man Menschen, die in Ekstase zur Soulmusik tanzen und sich bewegen. Allerdings blieb bzw. bleibt es bei der Hingabe zur Musik, mehr ist Soul nicht. Er ist keine Religion, dem der Mensch sich voll und ganz hingibt, eher sind es Zustände, in denen es diesen Charakter hat. Somit ist auch der nachfolgende Satz zutreffend, Soul sei „Spiritual und Gospel, aber nicht geistlich, keineswegs Kanzelmusik“. Wäre er geistlich, so würde die Musik im Namen der Religion stattfinden. Ray Charles hat einmal gesagt „ What is a soul? It’s like electricity – we don’t really know what it is, but it’s a force that can light a room.“. Dem braucht man, meiner Meinung nach, nichts mehr hinzuzufügen und es erklärt sich von selbst.

Auch die Thematik der Hautfarbe wird in dem Zeitungsartikel behandelt. Eine Überschrift lautet „Soul ist Schwarz“. Ja, Soul ist Schwarz! Soul ist eine Unterhaltungsmusik, die sich Ende der 1950er aus Rhythm and Blues und Gospel entwickelt hat. Man sagt sogar, dass der Soul für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner steht. Somit kann der Soul nur schwarz sein. Betrachtet man ihn aus der musikalischen Sicht, muss man leider

feststellen, dass es nur wenige weiße Soulsänger und Musiker gibt, die durch ihre Stimme und das Instrument das vermitteln können, was den Soul ausmacht. In dem Zeitungsartikel wird von einem Zitat Udo Jürgens gesprochen, in dem er auf die Frage, ob er auch Soul sänge, antwortet: „Nein, ich singe höchstens Seele“. Und genau das ist es. Kulturell bedingt, kann man sagen, dass das Feeling und der Groove, welche den Soul ausmachen, meist Schwarze in sich tragen. Sie sind mit dieser Art und Auffassung von Musik aufgewachsen, da diese seit Generationen familiär und in ihrer Umgebung verankert ist. Ein Weißer hingegen kann sich in der klar strukturierten und auch teilweise simpel aufgebauten klassischen Volksmusik am besten entfalten. So fällt dem Weißen, da er es so gelernt hat, das Klatschen auf die Zählzeit 1 und 3 wesentlich leichter, da die klassische Volksmusik diese Schwerpunkte mit sich trägt. Schwierig wird es, wenn er z.B. wie für den Jazz, Soul, Funk und Gospel üblich, auf 2 und 4 klatschen soll. Wäre er mit dieser Art von Musik aufgewachsen, so würde er die Musik fühlen und automatisch bei einem Soulstück merken, dass das Klatschen auf 1 und 3 bei dieser Musikrichtung nicht passen kann. Ebenfalls fällt es dem Schwarzen schwer, bei klassischer Volksmusik auf 1 und 3 zu klatschen. Er ist es nicht gewohnt. Musikalisch gesehen ist der Soul zwar eine Vereinfachung des Blues’, dennoch benötigt man ein gewisses musikalisches Verständnis um ihn auf dieser Ebene verstehen zu können.

Der Beat habe „kühle Frechheit und kabarettistisch-lyrische Texte die stärkere Intellektualität ausmachen. Anders gesagt, der Beat hat Kopf“ so Gordon Mansfeld in dem Artikel. Somit habe der Soul keinen Kopf? Keine Intellektualität? Wenn man seinen Worten glauben schenken will, kommt genau diese Schlussfolgerung zustande. Dies halte ich für einen nicht qualifizierten Vorwurf. Gordon Mannsfeld behauptet, Songtexte im Beat seien immer durchdacht, er sagt, wenn „jemand nicht über Vietnam, sondern über die kleinen Spießer neben der eigenen Haustür singen will, weiß er warum.“ Da muss man sich erst einmal die Fragen stellen, was der Anspruch an die Musik ist, ob dem wirklich so ist, dass der Beat mehr Intellekt als der Soul hat und wenn ja, ob man das als Kritik sehen muss.

Behandelt der Soul mehr die Probleme der einfachen Leute und nicht die Geschehnisse, die die Welt betreffen, so kann man doch nicht von einer geringeren Intellektualität sprechen. Zudem ist bekannt, dass viele Soultexte in deren Entstehungszeit politisch waren, die eine wichtige Rolle in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre spielten. Zwei Jahre nach Entstehung dieses Zeitungsartikels schaffte z.B. 1970 Edwin Starr mit seinem Antikriegslied „War“ den Sprung in die Hitparade. Zudem war es die Jahre davor nicht ganz

unproblematisch politische Aussagen in Songtexten zu verarbeiten. Dies beeinflusste die Karriere oft negativ. Des Weiteren will der Soul, wie sein Name schon sagt, die Seelen bzw. die Herzen der Menschen ansprechen. Da sind alltägliche Probleme eher die Probleme, die uns berühren, mit denen wir uns identifizieren können.

Im letzten Abschnitt des Zeitungsartikels, schreibt Gordon Mannsfeld noch: „Soul aber ist Ekstase, Rausch und eigentlich ein sehr selbstgefälliges Geschöpf.“ Ja genau, genau das ist es! Und weiter schreibt er: „In Deutschland, wo die Jungend gerade erst froh ist, musikalisch ihren Beat-Mann stehen zu können, hat Soul keine große Chance“. Diese Schlussfolgerung ergibt keinen Sinn. Wie kann man nur mit dem Ergebnis, dass Soul Ekstase und Rausch ist, schlussfolgern, dass das komplette Genre „Soul“ keine große Chance hat? Hierbei wird gerade mal ein Parameter angesprochen und viele weitere wichtige Punkte vergessen oder ausgelassen. Zudem sieht Gordon Mannsfeld diese zwei Eigenschaften als negativ an. Warum? Vielmehr hat man den Eindruck, er habe der Jugend zu dieser Zeit nicht zugetraut, dass sie schon wieder bereit für eine neue Stilrichtung wären. Soul steckt an, Soul animiert zum Tanzen, Soul hat ein hohes musikalisches Niveau, Soul bewegt, Soul ist das schwer zu definierende „heart and soul“, Soul ist energetisch, Soul ist Spontan und Kreativ. All diese Aspekte vergisst Gordon Mannsfeld, oder werden unbegründet als etwas negatives bewertet.

Mit den letzten zwei Sätzen des Artikels übertreibt er maßlos. „ Die Sänger des Soul sind wie die naiven Maler: Man lobt sie, freut sich, dass es sie gibt. Aber an die Wände des eigenen Zimmers hängt man andere Bilder.“ Zum Glück hat er damit nicht Recht behalten. Die Entwicklung des Souls hat anderes gezeigt. SängerInnen wie Erika Badu, Michael Jackson, Prince, Alicia Keys, Lauryn Hill, oder auch in Deutschland, Nneka, Joy Denalany oder auch Xavier Nadir, um nur einige Namen zu nennen, zeigen, dass Soul durchaus noch gehört wird und sehr erfolgreich ist. Nimmt man noch das durch Soul beeinflusste Genre Hip-Hop hinzu, wird der Erfolg noch deutlicher. Somit kann der Soul ein sehr lukratives Geschäft in der Musikbranche sein. Dies kann aber nur gelingen, wenn man dem Ursprung und dem eigentlichen Gedanken des Souls treu bleibt. Ansonsten wirkt er nicht glaubwürdig und wird daher auch keinen Erfolg haben.

Ich zitiere erneut Ray Charles:

„ What is a soul? It’s like electricity – we don’t really know what it is, but it’s a force that can light a room.“
Der Soul hat seine Seele nicht verkauft.

 

 

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