Sieben Fragen an Michael Lentz zu „Ferdinand Kriwet – Rotor“

Für den Bayrischen Rundfunk produzierte Michael Lentz 2011 das Hörspiel „Ferdinand Kriwet – Rotor“. Als Ausgangsmaterial sprach er Kriwets komplette Textvorlage „Rotor“, 1961 im Kölner DuMont Verlag erschienen, ein. Für den Musik und Text Blog beantwortete Lentz nun sieben Fragen.

Musik und Text Blog: 2011 haben Sie für den Bayrischen Rundfunk „Ferdinand Kriwet – Rotor“ als Hörspiel realisiert. Haben Sie sich die Retrospektive „Yester’n’Today“ zum Anlass genommen, sich Kriwets Text zu widmen?

Michael Lentz: Nein, die Wiederlektüre von Rotor löste die Vorstellung aus, diesen Text in einem akustischen Raum ‚rotieren‘ zu lassen. Es sollte eine akustische Version entstehen, die das Besessene und das Wechselspiel von Oberfläche und Latenz zum Ausdruck bzw. zu Gehör bringt.

Was hat Sie an der Textvorlage besonders fasziniert?

Michael Lentz: Die Performanz des Titels im bzw. als Text. Variierte Schleifenbildungen, Übergangslosigkeit (auch zwischen den Sprachebenen, zum Beispiel zwischen artifizieller Kunstsprache und Mundart). Dann das Wechselspiel zwischen (autobiographischer) Offenbarung und Verschleierung. Hier redet jemand ohne Punkt und Komma – und unterläuft sofort die Ankündigung, Geschichten würden ihn nicht interessieren.
In der vorgeblichen Verweigerung von Geschichten erzählt sich der Sprechende um Kopf und Kragen und installiert damit ein so rotierendes wie in sich ruhendes Paradox: nicht erzählen zu wollen (weil das tun ja schon die Eltern – als Kriegsgeneration, die erzählend schweigt, verheimlicht und lügt) und doch erzählen zu müssen, anfänglich zumindest genau davon – bis sich das Erzählen verselbstständigt.
Kriwet hat hier ein Modell gefunden für ein sich selbst stabilisierendes Sprechsystem, das bereits Erzähltes als nun doch endlich Gewusstes oder zu Wissendes immer wieder anschwemmt, um es Neuigkeiten aufzupfropfen. Autobiographie, Suada, Katarakt, Abrechnung, Heimatprosa.

Der Text verzichtet in seiner Druckform komplett auf Großschreibung und Interpunktion. Wie haben Sie sich auf die Interpretation vorbereitet?

Michael Lentz: Indem ich Taktungen vorgenommen habe, Markierungen durch Unterstreichungen und Virgeln. Scheinbar endlose Kombinationen von Wörtern, die nach dem Prinzip der Silbengemeinschaft bzw. der Auslassung der morphologisch notwendigen Silbenwiederholung aneinandergehängt sind, habe ich zunächst ‚analysiert‘, auseinandergebaut und mittels artikulatorischer Verschleifung wieder zusammengesetzt. Ich habe den Text zu Redeeinheiten gruppiert, seiner Übergangslosigkeit als Monolith also Gewalt angetan. Jede dieser Gruppierungen habe ich zunächst für sich und dann in immer größeren Zusammenhängen eingeübt durch lautes Lesen/Sprechen.

Gunnar Geisse hat den von Ihnen eingesprochenen Vortrag anschließend mit Sampling-Effekten bearbeitet. Wie haben Sie beide das richtige Verhältnis von Effekt und textlichem Inhalt erarbeitet?

Michael Lentz: Der Ehrgeiz war von Anfang an, den gesamten von mir eingelesenen Text von Rotor (ca. 3 Stunden) auf ca. 50 Minuten zu bringen. Das wurde realisiert durch das Prinzip Rotor: rasende, kaskadenartige Beschleunigung auch überlagerter Sequenzen. Die Arbeit im Studio war eine der gesteigerten Aufmerksamkeit des Hörens und gehörter Entscheidungen.
Die Fragen nach ‚wie‘, ‚wann‘ und ‚wo‘ wurden zum Teil auditiv entschieden, dann aber auch semantisch: Unvorhergesehene Stopps, Zerdehnungen, Exponierung von Redewendungen, die deutlich zu verstehen sein sollten etc., waren das Ergebnis. Dieses wurde aber immer wieder überprüft. So war die Arbeit an Rotor sprichwörtlich minutiös, aufreibend, rasend lustig.

Wie lange haben Sie für die Produktion benötigt?

Michael Lentz: 6 Tage im Hörspielstudio des BR München.

Haben Sie mit „Rotor“ Lesungen veranstaltet? Haben Sie den Sampling-Ansatz dort live umsetzen können?

Michael Lentz: Nein, ich habe keine Lesungen gemacht mit „Rotor“.

Können wir auf ein Hörbuch mit dem kompletten, von Ihnen eingesprochenen „Rotor“ hoffen?

Michael Lentz: Im Moment leider nicht, ich finde keine Zeit, mich darum zu kümmern. In Zukunft hoffe ich aber sehr, dass das komplette Paket erscheinen wird, samt Hörspiel.

Zum Nachhören:

Hörspiel: Ferdinand Kriwet – Rotor, 55 Minuten
Realisation: Michael Lentz, Sampling: Gunnar Geisse
2011 BR Bayrischer Rundfunk Bayern 2
Erstausstrahlung 13.05.2011

Vorher im Musik und Text Blog: „Hörspiel: Ferdinand Kriwet – Rotor“.

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